Ewigkeit

 
  Ewigkeit oder ewiges Leben ist ein großes Hoffnungsgut für viele Christen. Sie stellen sich darunter wahrscheinlich vor, ein Leben in Glückseligkeit, in dem die Leiden dieser Welt kompensiert werden. Sie stellen sich unter Umständen auch vor ein Wiedersehen mit den Verstorbenen, mit ihren Lieben. Auf alle Fälle ist dieser Begriff Ewigkeit mit sehr viel Hoffnung gefüllt und angereichert worden.   
  
In der Theologie hat man versucht, vom Begriff des Reiches Gottes, der ja auch zur Vorstellung der Ewigkeit gehört, eine Ethik zu entwickeln. Wenn das Reich Gottes Friede, Freude und Gerechtigkeit ist, dann ist das das Hoffnungsgut der Christen. Fachleute nennen dieses Hoffnungsgut der Christen eine absolute Utopie. Sie ist nicht machbar, sie wird geschenkt. Aus dieser absoluten Utopie wird eine relative Utopie abgeleitet. Wenn das Hoffnungsgut Friede, Freude und Gerechtigkeit ist, dann muss mein Handeln in Richtung Friede, Freude und Gerechtigkeit gehen. Die absolute Utopie wird zur relativen Utopie, das Hoffnungsgut zum Modell meines eigenen Handelns. Aber damit sind die Begriffe Friede, Freude und Gerechtigkeit noch nicht ausreichend behandelt, sie sind noch Leerformeln und bedürfen damit inhaltlicher Füllung. So kommt als dritter Faktor neben der absoluten Utopie und der relativen Utopie hinzu ein soziales Programm. Hierbei ist der Ethiker auf den Ratschlag von Fachleuten angewiesen. Was Gerechtigkeit im Berufsleben ist, vermag das Neue Testament nicht zu sagen. Konkretion kann nur der Fachmann geben. Und das, was er sagt, bleibt vernünftig kontrovers.
  
Dies ist also ein Versuch aus Ewigkeit, Reich Gottes, ewigem Leben ein Modell für mein Leben hier und jetzt abzugeben. Zugleich wird damit auch etwas mehr deutlich von ewigem Leben und Ewigkeit.
  
Eine andere Vorstellung übermittelt das Johannes-Evangelium, jedenfalls in einigen Teilen. Dort ist Ewigkeit eine Qualifizierung des menschlichen Lebens, die durch den Glauben gewährleistet ist. Wer glaubt, hat das ewige Leben. Das ist für mich eine ganz wichtige Aussage: Ewigkeit also nicht irgendwas in der Zukunft, sondern Ewigkeit einer Aussage über die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit meines Lebens im Hier und Jetzt. Diese Aussage ist nicht belastet durch eine Gerichtsaussage, denn der, der im ewigen Leben ist, dessen Leben als Ewigkeit qualifiziert ist, hat das Gericht hinter sich. Auch hier, über diese Qualifizierung meines Lebens, müßten wir die ethischen Folgen für unsere Zeit bedenken.
  
Daneben gibt es in der Bibel einen großen Teil, in dem von Ewigkeit, von ewigem Leben und Glückseligkeit im Jenseits nicht geredet wird. Das ist das Alte Testament. Der alttestamentliche Fromme weiß nichts davon, dass die Toten auferstehen und durch das Dunkel des Todes in das Licht des ewigen Lebens eingehen sollen. Fast alle die wenigen Worte, auf die man sich zur Stütze der gegenteiligen Meinung beruft, besagen nichts desgleichen oder sind in ihrer Übersetzung problematisch. Man weiß zwar von einigen Frommen, die den Tod nicht zu erleiden brauchten, weil sie von Gott vorher entrückt worden sind. Aber grundsätzlich gilt der Tod als unüberwindbar und das Eingehen in die Unterwelt als das Schicksal aller Menschen. Unterwelt ist eigentlich Unland, Nichtland, Land, in dem nichts Wirkliches, Aktives, Dynamisches ist. Es ist ein Leben in Kraftlosigkeit. Und dieses Leben in der Unterwelt ist zugleich dadurch charakterisiert, dass der Fromme nichts mehr von seinen Lieben in der Welt weiß, er ist getrennt von ihnen. Aber er ist auch getrennt von Gott. Mit dem Tode ist alles aus, die Gemeinschaft mit Gott und das Zusammenleben mit den Menschen, an denen man Anteil hatte, ist nicht mehr.
  
Wie lebt man mit solch einem Wissen vom endgültigen Ende aller Dinge? Man muss diese Welt dann wahrscheinlich sehr nüchtern einschätzen, man kann sie nicht verherrlichen, weil die Schicksalsschläge doch zu grausam sind, man kann aber auch nicht flüchten, wohin sollte man auch flüchten? Die Frage ist dann für den alttestamentlichen Frommen: Gibt es Erscheinungen, die angesichts des totalen Endes aller Dinge, mit dem Tode, dieses Leben in dieser begrenzten Zeit sinnvoll machen? Es ist nicht nur die Möglichkeit, die der Prediger uns gibt, wenn er aus Resignation schließlich dazu kommt zu sagen: „Wohlan, iss Dein Brot mit Freude und trink guten Muts Deinen Wein.“
 
Dies ist kein billiger Hedonismus, dies ist, was Gott für den Menschen gewollt hat.
 
Es gibt noch andere Punkte, an denen man Halt finden kann: Es gibt Saat und Ernte, Sommer und Winter, Frost und Hitze und Tag und Nacht, und dies hört nicht auf. Es gibt das Staunen an der Welt und die Bewunderung des kunstvoll gebauten Weltgebäudes, wie es der 19. Psalm uns signalisiert: „Die Himmel rühmen Gottes Ehre, das Firmament verkündet seiner Hände Werk.“ Und es gibt das Bewusstsein, dass die Erde fest gegründet ist. Davon redet Hiob, von dem Festgegründetsein der Erde, so dass das Meer die Erde nicht überwältigen kann. Auf der Erde selbst ist alles weise geordnet, daher kann man Gott für die Ernte danken, die man im Ablauf des Jahres geschenkt bekommt, man kann aber auch danken für jeden Ablauf des Tages, der so festgelegt ist. Nachts gehen die Tiere aus, um Beute zu suchen, am Tage früh geht der Mensch aus zur Arbeit, arbeitet bis zum Abend und kehrt dann zurück. Der alttestamentliche Fromme weiß auch von seiner Würde: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und das Menschenkind, dass du dich seiner annimmst? Du gabest ihm fast göttliche Würde, kröntest ihm mit Ehre und Hoheit, machtest sie zum Herrscher über deiner Hände Werk.“
 
Und es gibt natürlich die Liebe, so wie sie sehr schön geschildert wird als die Liebe zwischen David und Jonathan: Sie sind „wie Helden gefallen im Kampfgetümmel. Ich trage Leid um Dich, mein Bruder Jonathan, Du warst mir so lieb!“ Das Hohe Lied schildert uns dann diese Liebe in ihren schönsten Formen mit all den Variationen. Und der alttestamentliche Fromme hat auch das Wissen, dass er in dieser Welt Gottes Willen gestalten und prägen soll. Ist nun dieses Leben ohne Wissen um Ewigkeit lebbar? Brauchen wir die Ewigkeit, um dieses Leben lebbar zu machen? Oder ist es nicht geradezu wichtig, dass das Alte Testament keine Flucht in die Ewigkeit erlaubt, sondern uns wirklich an das Hier und Jetzt weist als Aufgabe und als Zuspruch?
 
> zurück zu RP-Artikel < Wie wir uns auch entscheiden, ich bin sehr froh, dass in der Bibel dieser alttestamentliche Realismus uns erhalten geblieben ist: Keine Weltflucht, keine Weltverherrlichung, realistische Sicht der Gefahren in der Welt, und doch Entdeckung von Großartigem, was diese Welt lebbar macht. Wie wir uns auch immer entscheiden: Ewigkeit oder Diesseitigkeit mit dem unabwendbaren endgültigen Ende des Todes - unser Leben muss bewältigt werden.
   
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Martin Gerlach