Geschichte oder Ideologie?   
   „Prüfet alles, und das Gute behaltet.“ 1. Thess. 5,20  
     

 

Die Archäologie sah bis vor kurzer Zeit ihre Aufgabe darin, die Historizität der biblischen Berichte zu beweisen. Dies hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Archäologie will aus ihren Funden ein Bild der Geschichte gewinnen, um das Ergebnis dann mit den biblischen Texten zu vergleichen. Das führt zu einer Neubewertung der biblischen Berichte. Ein großer Anachronismus wird deutlich. Biblische Fakten sind in der von der Bibel berichteten Zeit unmöglich. Die biblischen Geschichten können erst nach 800 niedergeschrieben worden sein. Die Kamele, von denen die Erzvätergeschichten, z.B. die Josefsgeschichten, berichten, können in der von der Bibel angegebenen Zeit kaum die beschriebene Bedeutung gehabt haben. Sie wurden erst weit nach 1000 gezähmt. Die Ägypter hatten Kanaan fest im Griff. Deswegen und wegen des hervorragenden Verwaltungsapparates war ein Auszug aus Ägypten unmöglich. David und Salomo waren keine mächtigen Herrscher in der angegebenen Zeit. Sie waren Stammesoberhäupter. Juda war ein unterentwickeltes Hirtenland, Jerusalem ein unbedeutendes Dorf. Es gibt keine Hinweise und kein Wort über die frühen Israeliten in Ägypten, weder in Grabstätten, Tempeln oder auf Papyri. Wahrhaft erstaunliche Ergebnisse jüdischer Archäologen!! Wichtig sind noch andere Aspekte dieser Forderungen. Abraham gab es nicht, dann konnte Gott auch keinen Bund mit ihm geschlossen haben, also konnte dem Volk das Land auch nicht versprochen worden sein. Von Abraham leiten Juden, Christen und Muslime ihren Glauben ab, so dass der Wunsch entstand, im Rückgriff auf Abraham eine Ökumene der 3 großen Religionen zu gestalten. Darf man aus diesen Geschichten die heutigen territorialen Forderungen ableiten? Auch wenn die Geschichten einen historischen Kern haben, so spiegeln sie hauptsächlich Ideologie und Weltbild der Verfasser des 7. Jahrhunderts wieder. Sie deuten mit alten Überlieferungen ihre Zeit. Die meisten christlichen Theologen legen die schriftliche Fixierung in das 5. Jahrhundert v. Chr. Eine andere Frage bricht noch auf: Wer waren die Israeliten? Albrecht Alt, George Mandenhall und Norman Gottwald haben diese Frage bereits zu beantworten versucht. Sie sind keine Zuwanderer aus Ägypten und der Wüste. Sind sie entwurzelte Bauern? Waren sie Nomaden, aus denen dann Bauern wurden im Zuge des Weidewechsels? Die meisten Israeliten kamen aus Kanaan. Sie kamen nicht aus Ägypten und waren ins verheißene Land gezogen. Die Israeliten waren ursprünglich Kanaanäer. Der Aufstieg Israels war das Ergebnis des Zusammenbruchs der kanaanäischen Kultur. Die meisten Israeliten kamen nicht von außen nach Kanaan, sondern aus seiner Mitte heraus. Wir haben es also im Alten Testament mit einem völkischen Epos zu tun. Darin wurde Gott als Herr der Geschichte dargestellt und in die Vergangenheit projeziert. Unser Glaube, von den Gotteserfahrungen des Alten Testamentes und des Juden Jesus geprägt, hat nur bedingt seine Basis in einer konkreten Geschichte. Aber er basiert auf der in einem völkischen Epos erlebten Gotteserfahrung. Es wäre ganz schlimm, wenn durch diese Enthistorisierung des Alten Testamentes dieses großartige Dokument eine Abwertung erführe. Es gibt Wahrheiten, die bedeutender sind als historische Fakten. Das Beibehalten des Alten Testamentes ist nicht das Zeichen einer religiösen Lähmung, wie es Adolf von Harnack meinte, es muss für uns prägend bleiben. Es war folgerichtig, dass das Alte Testament die Bibel der frühen Christenheit bis in das 2. nachchristliche Jahrhundert blieb und nach Entstehung des Neuen Testamentes beibehalten wurde.

Martin Gerlach

 

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